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Empirische Analyse der iberischen Strompreisobergrenze

Seit Sommer 2021 erleben die europäischen Energiemärkte eine beispiellose Preisrallye, die sich seit Februar 2022 durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die daraus resultierenden Sorgen um die Versorgungssicherheit, insbesondere bei Erdgas, noch verstärkt hat. Die jüngste Entwicklung der Großhandelspreise auf dem Strommarkt ist im Wesentlichen auf den starken Anstieg der Erdgaspreise (und auch auf Preissteigerungen bei Ersatzbrennstoffen wie Kohle) zurückzuführen. In den letzten Monaten wurden verschiedene Ideen zur Begrenzung des Preisanstiegs entwickelt und vorgeschlagen. Einer der Mechanismen, die in letzter Zeit für eine Übernahme auf europäischer Ebene diskutiert wurden, ist der so genannte iberische Price Cap (im Folgenden: das „iberische Modell“), das erstmals im Juni 2022 in Spanien und Portugal eingeführt wurde. Das iberische Modell verfolgt die Idee einer konsequenten Entkopplung von Strom- und Gaspreisen. Damit sich die Reihenfolge des Kraftwerkseinsatzes in der so genannten Merit-Order (MO) nicht ändert, sind alle fossilen Kraftwerke (insbesondere Erdgas-, Kohle- und Ölkraftwerke) verpflichtet, einen für alle Kraftwerke gleich hohen Festpreisabschlag in ihr Angebot aufzunehmen.

Die Arbeiterkammer Österreich (AK) hat die Österreichische Energieagentur beauftragt, die ersten Monate der Marktergebnisse des iberischen Modells zu analysieren und zu beobachten, wobei der Fokus auf Strompreis- und Gasverbrauchseffekten liegt. Die vorliegende erste Version eines Arbeitspapiers stellt die Ergebnisse dieser Untersuchung vor und deckt den Zeitraum seit Einführung des Mechanismus bis zum 30. September 2022 ab. Die neue Erweiterung dieses Papiers konzentriert sich auf die Stromverbindungsleitungen zwischen der EU und Nicht-EU-Ländern.

Ergebnisse Part A:

Die in diesem Papier erzielten Ergebnisse hinsichtlich der historischen Ergebnisse der iberischen Preisobergrenze zeigen einige klare Tendenzen:

  • Unter der Prämisse hoher Erdgaspreise senkt das iberische Modell das Stromspotpreisniveau deutlich.
  • Auf der iberischen Halbinsel ging das iberische Modell mit einem erheblichen Anstieg der Stromerzeugung aus Erdgas einher Eine genauere Analyse dieses Effekts ist jedoch erforderlich.
  • Etwa ein Drittel dieses Anstiegs muss Nichtverfügbarkeiten in der Stromerzeugung im Sommer 2022 zugerechnet werden.
  • Etwa die Hälfte dieses Anstiegs kann auf einen Anstieg der Stromexporte nach Frankreich und Marokko zurückgeführt werden. Es ist jedoch nicht sicher, dass all diese zusätzlichen Exporte ausschließlich mit dem iberischen Modell in Verbindung gebracht werden können, da die Strompreise in Mitteleuropa auch ohne Preisbegrenzung höher gewesen sein könnten.
  • Etwa ein Zehntel dieses Anstiegs kann auf eine höhere Stromnachfrage zurückgeführt werden, die zumindest teilweise mit den hohen Temperaturen während des untersuchten Zeitraums zusammenzuhängen scheint.
  • Die Strompreissenkungen kommen bei den Stromkunden nur teilweise an, da die Subventionskosten über eine Umlage von Marktteilnehmern getragen werden müssen. Die relative Auswirkung dieser Umlage wurde durch eine geringe Erzeugung aus erneuerbaren Energien und einen höheren Stromexport während des untersuchten Zeitraums verstärkt.

Auch wenn die historischen Beobachtungen in Spanien und Portugal im Kontext lokaler Marktgegebenheiten zu betrachten sind, können Sie doch einen Hinweis darauf geben, was in anderen Marktgebieten passieren könnte, wenn das iberische Modell europaweit angewandt würde. Dennoch müssen die beobachteten Effekte nicht überall in gleicher Weise auftreten. Das iberische Beispiel sollte daher mit Vorsicht betrachtet werden, ohne jede Auswirkung des iberischen Modells zu überinterpretieren. Dies erfordert eine vertiefte europaweite Analyse.

Ergebnisse Part B:

Die in der historischen Analyse des iberischen Price Caps ermittelte Auswirkung auf die Zunahme der Stromerzeugung aus Erdgas, die mit höheren Exporten von subventioniertem Strom verbunden ist, wirft die Frage auf, wie sich dieser Effekt im übrigen Europa auswirken würde, wenn die EU als Ganzes beschlösse, diese Maßnahme ebenfalls einzuführen.

Daher wird die verfügbare Stromübertragungsleistung zwischen EU- und Nicht-EU-Ländern untersucht, indem das zusätzliche Exportpotenzial bei Anwendung des iberischen Price Caps in ganz Europa betrachtet wird. Dazu werden die historischen Importdaten des Jahres 2021 vom installierte Übertragungspotenzial abgezogen und mit den tatsächlichen Stromerzeugungsdaten aus dem Jahr 2021 in benachbarten Nicht-EU-Ländern verglichen. Hierbei stehen Steinkohle- und Gaskraftwerke im Fokus, die aufgrund einer grenzüberschreitenden Merit-Order-Änderung potenziell substituiert würden. Die Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung wird dabei konservativ in das Substitutionspotenzial einbezogen, obwohl es recht unwahrscheinlich ist, dass die Wärmeerzeugung dieser Anlagen vollständig durch andere Wärmequellen ersetzt würde. Die Annahme, dass das Übertragungspotenzial zu jedem Zeitpunkt voll ausgeschöpft wird, ist ebenfalls konservativ, da Preisschwankungen und gelegentliche Umkehrungen der Importrichtung wahrscheinlich sind, z. B. in Abhängigkeit der stündlich verfügbaren erneuerbaren Erzeugung.

Alle Grenzen zwischen EU- und Nicht-EU-Ländern werden unter der Annahme von zwei verschiedenen Szenarien bewertet:

1. Einführung einer iberischen Preisobergrenze wie in Spanien und Portugal mit einem Zielbrennstoffpreis von etwa 40 €/MWh und einer gemeinsamen Subventionierung aller fossilen Brennstoffe (d.h. Steinkohle, Erdöl und Erdgas) im Rahmen der Subventionierung.

2. Einführung einer zum iberischen Price-Cap ähnlichen Maßnahme, die sich ausschließlich auf die Subventionierung von Erdgaskraftwerken konzentriert und einen deutlich höheren, automatisch angepassten Ziel-Energiepreis in Abhängigkeit vom aktuellen Kohle- und CO2-Preisniveau festlegt. Damit wird sichergestellt, dass die EU-interne Merit-Order nicht verzerrt wird. Bei der derzeitigen Marktsituation Anfang Dezember 2022 wäre dies bei einem Ziel-Energiepreis von rund 125 €/MWh der Fall.

Der Vergleich der Übertragungspotenziale und der bestehenden nationalen Stromsystemkostenstrukturen zeigt, dass das Vereinigte Königreich und die Türkei die Nachbarländer der EU sind, die am ehesten vom Import subventionierten Stroms profitieren, da die heimische fossile Stromerzeugung substituiert werden kann. Ähnliche Bedingungen gelten für Marokko, das jedoch bereits vom bestehenden iberischen Price Cap betroffen ist.

Obwohl die Schweiz, Norwegen und die südosteuropäischen Nachbarländer (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien) über beträchtliche Übertragungskapazitäten in Richtung EU verfügen, ist das Potenzial für zusätzliche Importe von subventioniertem Strom aus Erdgas aufgrund der Verfügbarkeit eigener, kostengünstigerer Erzeugungskapazitäten nicht groß.

Wir schätzen einen Anstieg der jährlichen Stromexporte von etwa 45 TWh bzw. 37 TWh durch die Einführung eines iberischen Price Caps in ganz Europa, unter der Annahme, dass Merit-Order-Effekte durch den Fuel Switch zwischen Erdgas- und Steinkohlekraftwerken innerhalb der EU durch ein intelligentes Interventionsdesign vermieden werden können. Dies könnte entweder durch eine Subventionierung aller fossilen Energieträger (wie beim iberischen Price Cap) oder durch die Festlegung eines adaptiven Zielpreises unter Berücksichtigung des Kohle- und CO2-Preisniveaus erreicht werden. Diese Zahlen, die zwischen 1,5 % und 1,8 % der jährlichen Stromerzeugung in der EU im Jahr 2021 betragen, liegen deutlich unter dem theoretischen zusätzlichen Exportpotenzial von 261,7 TWh, das sich ergeben würde, wenn alle Exportkapazitäten jederzeit voll genutzt würden. Bei einer Erzeugung dieses zusätzlichen Stroms durch Erdgas und einem angenommenen mittleren Wirkungsgrad der Gaskraftwerke von 50 % würde dies zu einem zusätzlichen Gasverbrauch von 90 TWh bzw. 74 TWh führen.

Alles in allem zeigen die Ergebnisse unserer Analyse, dass eine EU-weite Anwendung einer intelligenten Preisobergrenze nach iberischem Vorbild, die Merit-Order-Effekte innerhalb der EU ausschließt und Merit-Order-Effekte an den Grenzen der Union begrenzt, nicht zu dem oft befürchteten massiven Anstieg des Gasverbrauchs in der Stromerzeugung führen würde. Nichtsdestotrotz sollte jede Maßnahme, die den Gasverbrauch erhöhen könnte, in der derzeitigen Marktsituation mit Versorgungsengpässen mit Bedacht gewählt werden.

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Ansprechpersonen

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Head of Center Economy, Consumers & Prices

Karina Knaus, PhD

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Mitarbeiterfoto Christian Furtwängler

Senior Expert | Energy Economics

Christian Furtwängler, MSc

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