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September 2022

Analyse: Handlungsoptionen für Preissenkungs­mechanismen im Stromgroßhandel

Strompreise im europäischen Großhandel steigen und die Mitgliedstaaten sind auf der Suche nach Interventionsmöglichkeiten. Die Energieagentur ordnet aktuell diskutierte Handlungsoptionen im Auftrag des BMK ein.

Wien, 8. September 2022 – Seit Sommer 2021 erleben die europäischen Energiemärkte eine bis dato beispiellose Preisrallye, die sich durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und daraus folgende Sorgen um die Versorgungs-sicherheit insbesondere bzgl. Erdgas seit Februar 2022 weiter intensiviert hat. Die jüngere Preisentwicklung der Großhandelspreise im Strommarkt, mit einer Vervielfachung im Vergleich zum letzten Jahr lässt sich im Wesentlichen auf stark gestiegene Energieträgerpreise für Erdgas (und in jüngerer Vergangenheit auch bei Kohle) zurückführen.

Handlungsoptionen für Preissenkungsmechanismen im Stromgroßhandel

Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung erreicht die Preissteigerung – je nach Vertragsausgestaltung mehr oder weniger schnell und stark – aber alle Haushalte und Betriebe. Als Folge dessen werden und wurden verschiedene Ideen entwickelt und teilweise bereits umgesetzt, die eine Entkopplung des Großhandels-Strompreises von den steigenden Brennstoffpreisen anstreben. In einer aktuellen Analyse im Auftrag des BMK hat die Energieagentur eine Vielzahl an diskutierten Handlungsoptionen bewertet.
 

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Der Großhandel mit Strom ist ein komplexes Gefüge – Interventionen nur nach Prüfung

Die Liberalisierung der Strommärkte ist mehr als 20 Jahre alt. Bemühungen für die verstärkte Integration der einzelnen europäischen Länder bzw. Gebotszonen sind also über Jahrzehnte gewachsen. Das System besteht aus vielen Rädchen, die ineinander greifen wie ein Uhrwerk. Wird an einem Rad gedreht, hat das Auswirkungen auf das gesamte System. In der Vergangenheit wurden systemische Veränderungen immer erst nach einer langen Phase von Analysen, Abstimmungen und Testläufe umgesetzt. In der aktuellen Krise sind die Forderungen nach einer schlagartigen Intervention laut geworden. Angesichts der dramatischen Preisentwicklungen ist dies nachvollziehbar. Gleichsam ist essentiell, etwaige politische Maßnahmen erst nach größtmöglicher Prüfung und unter Berücksichtigung der Perspektiven von Expert:innen für die europäischen Strommärkte umzusetzen. Schnelle Interventionen sollten temporär aufgesetzt werden, eine Exit-Strategie vorsehen und die nachstehenden Prämissen beachten.

In Verknappungssituation zu Bedenken: Auswirkungen auf Energieverbrauch, Erneuerbaren-Ausbau, Flexibilität und Terminmärkte

In einer Energieknappheitssituation erfüllen hohe Preise eine wichtige Funktion, da sie diese Knappheitssignale transportieren. Eine Preisintervention darf sich nicht kontraproduktiv auf den Strom- und Gasverbrauch auswirken. Eine Preissenkung sollte außerdem so ausgestaltet sein, dass Anreize für die Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien, von Speichern und der verstärkten Nachfrage-Flexibilisierung erhalten bleiben. Auch die Auswirkungen von Interventionen auf die Terminmärkte sind entscheidender Faktor für den Erfolg und mögliche Verwerfungen aufgrund von Preisinterventionen. Zudem sind Maßnahmen, die eine Reduktion des Gaspreises zur Folge haben, ebenso von entscheidender Bedeutung (gemeinsame Beschaffung z.B.).

Politisches Momentum ist auch eine wichtige Chance

Das europäische Marktdesign muss angesichts der beschleunigten Umstellung auf erneuerbare Energien und der notwendigen Flexibilisierung des Stromsystems ohnehin weiterentwickelt werden. Das aktuelle politische Momentum birgt große Chancen, diese Veränderungen anzustoßen – zukünftigen Notwendigkeiten sollte dabei jedenfalls auch Beachtung geschenkt werden.

Bewertung der diskutierten Handlungsoptionen

Bewertungsskala von 1 (gering ausgeprägt) bis 5 Punkte (voll ausgeprägt) basierend auf Expert:inneneinschätzung
Grundmodell Kurzbeschreibung Gesamtbewertung
Ausschreibung von Verbrauchsreduktionen Ausschreibung von Demand Response und daraus resultierend Verringerung des Strombedarfs 22
Aktuelles Griechisches Modell Einführung eines ex-post Umverteilungsverfahrens im Strommarkt, ähnlich einer Windfall-Profit-Tax 17
Price Cap durch EUPHEMIA-Anpassung Nachgelagerte Anpassung der Marktergebnisse, z.B. durch Kappung bzw. Subventionierung von fossilen Gebotspreisen 16
Iberisches Modell Vorgabe eines adaptiven Preisabschlags für fossile Kraftwerke + Subventionierung mit Umlagesystem 15
Zukünftiges Griechisches Modell Zweiteilung des Strommarktes in günstiges und teures Segment, Vollkostenvergütung mit Contracts-for-Difference 15
„Strompreisdeckel“ für Großhandel Ex-post-Berechnung eines mengengewichteten Durchschnittspreises anhand DA-Ergebnis und Erstattung der Differenz Marktpreis und Durchschnittspreis an Verbraucher (Negativumlage) 14
Iberisches Modell mit fixem Abschlag Vorgabe eines fixen Preisabschlags für fossile Kraftwerke + Subventionierung mit Umlagesystem 13
Abschottung der Grenzkapazität Künstliches Setzen der Grenzkapazitäten im EUPHEMIA-Algorithmus auf (nahe) 0 11
Einführung von Pay-as-bid statt Pay-as-clear Anpassung der Zuschlagsregel in Day-Ahead und Intraday-Eröffnungsauktion auf Pay-as-bid 9

„Pay-as-Bid“, Abschottung der Grenzkapazität und EUPHEMIA-Anpassung nicht empfehlenswert

Aus der Analyse geht hervor, dass die Umsetzung von einigen Maßnahmen nicht sinnvoll erscheint, die in einzelnen (oder mehreren) Aspekten sehr schlecht abschneiden. Nicht ratsam ist zum Beispiel die Einführung von „Pay-as-Bid“, da sowohl die Effektivität, als auch die Schnelligkeit der Umsetzung und somit auch die Effizienz der Maßnahme nicht gegeben ist. Auch die Abschottung der Grenzkapazität – die obendrein gegen das geltende EU-Recht verstoßen würde – würde in mehreren Aspekten schlechte Ergebnisse erzielen und somit mehr Nachteile als Vorteile bringen.

Andere Vorschläge wie die EUPHEMIA-Anpassung und die Einführung des zukünftigen griechischen Modells scheinen noch nicht ausgereift und/oder würden zu lange Prozesse zu einer marktregelkonformen und sicheren Umsetzung benötigen, um in der aktuellen Preiskrise rechtzeitig eine Entlastung zu schaffen („too late to matter“). Auch die Idee eines Strompreisdeckels für den Großhandel könnte bezüglich der Auswirkungen des EU-Beihilfenrechts noch nicht ausgereift genug sein, um eine längere Umsetzungsdauer ausschließen zu können.

Ausschreibung von Verbrauchsreduktionen ist eine längerfristig sinnvolle Maßnahme

Weiter existiert mit der Idee einer Einführung eines Demand Response-Mechanismus per Ausschreibung bzw. Auktion eine Idee, die als „No Regret“-Option, d.h. als Maßnahme einzuordnen ist, die in jedem Fall, d.h. unabhängig eines eventuellen fehlenden europäischen Beschlusses, auf nationaler Ebene umgesetzt werden sollte. Die wirtschaftliche Steuerung von Energieeinsparungen der Industrie durch Ausschreibungen/Auktionen führt zu einer auf Opportunitätskosten der Produzenten basierenden Einsparung teurer Energieträger und kann hierdurch die Strompreise in besonders nachfragereichen Situationen zielgerichtet senken. Die Umsetzung dieses Mechanismus sollte außerdem durch eine weitere Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien und von weiteren Energieeffizienzmaßnahmen flankierend begleitet werden.

Iberisches Modell: Gleichklang mit anderen europäischen Ländern entscheidend

Bezüglich der diskutierten EU-weiten Maßnahmen erscheint vor allem das iberische Modell eine gute Kombination aus schneller Umsetzbarkeit, Effektivität und breitem Support von EU-Staaten aufzuweisen. Tatsächlich ist die Wirksamkeit dieses Mechanismus jedoch besonders abhängig von der Teilnahme möglichst aller Staaten, die am europäischen Stromhandel teilnehmen. Wichtig ist hierbei, dass nicht nur die Kosten von Erdgaskraftwerken, sondern auch von anderen fossilen Erzeugern wie Kohle subventioniert werden müssen, um eine Änderung der Einsatzreihenfolge und einen daraus resultierenden Mehrverbrauch von Gas zu vermeiden. Dennoch bleiben zentrale Probleme, die nur in Teilen gelöst werden können – insbesondere der Stromexport an der Außengrenze einer Marktgruppe, die sich für die Implementierung des iberischen Modells entscheidet; und die bereits oben genannten möglichen negativen Auswirkungen durch bereits getätigte Terminmarktgeschäfte, insofern diese nicht berücksichtigt werden. Da das iberische Modell einen direkten Effekt auf den Day-Ahead Großhandelspreis hat, treten gegebenenfalls psychologische Effekte auf. Diese können sowohl positiv (Dämpfung der Inflationserwartung) wie auch negativ sein (Verminderung des Anreizes zum Einsparen).

Eine auch national umsetzbare Fallback-Option: Das aktuelle griechische Modell

Eine weitere bedenkenswerte Option, die auch als nationale Fallbackstrategie ohne europäische Einigung wirksam (wenn vermutlich auch mit etwas längerem Vorlauf) umgesetzt werden könnte, ist das aktuelle griechische Modell. Hier könnte mithilfe von Contracts-for-Differences eine Umverteilung von enormen Mehrgewinnen günstiger Energieerzeuger zugunsten der Endkunden erreicht werden. Auch hier ist jedoch bei der Anwendung dieser CfDs mit Bedacht zu berücksichtigen, welche Erzeugungsmengen bereits über Terminmärkte abgesichert wurden, um finanzielle Mehrbelastungen günstiger Erzeuger durch die Umverteilungsmaßnahme zu vermeiden. Für Anlagen die in ein solches Modell übergeführt werden handelt es sich jedoch um keine temporäre Option, sondern erfordert ein entsprechendes vertragliches Commitment. Mittelfristige Änderungen im Marktdesign könnten daher erschwert werden.

Ausgangspunkt für ein langfristig sinnvolles Marktdesign: Das neue griechische Modell

Schließlich sollte die kurzfristige Krise des Energiemarktes mit ihren enormen Herausforderungen die langfristigen Herausforderungen des Strommarktes, mit einem steigenden Anteil erneuerbarer Energien, einem erhöhten Speicherbedarf und dem geplanten Eintritt neuer Technologien (wie importiertem oder durch erneuerbaren Überschussstrom erzeugten grünem Wasserstoff) nicht vergessen lassen. Das Marktdesign der Zukunft sollte also schon heute entwickelt werden. Der Vorschlag des neuen griechischen Modells sollte daher durch die europäischen Marktbetreiber, Netzbetreiber und Energieforschenden als gemeinsame Arbeitsgrundlage genutzt werden, einen zukunftsfähigen europäischen Strommarkt zu entwickeln, in dem sich Investitionen in Zukunftstechnologien weiterhin lohnen und ein effizienter Betrieb des komplexen Stromsystems gewährleistet bleibt.

Empfehlung: In dieser Folge von Petajoule, dem Podcast der Österreichischen Energieagentur, diskutieren Karina Knaus, Christian Furtwängler und Christoph Dolna-Gruber über Interventionsmöglichkeiten im europäischen Großhandel mit Strom.

Zum Podcast mit den Autor:innen: